sicht+sonnenschutz berichtet vom 6. Infotag von ASO Safety in Rheda Wie die Norm den Kugelschreiber zur Maschine macht

Überregulierung oder Koordinatensystem für die Branche: Die Meinungen über den Nutzen der diversen Normen für die Torbranche gehen auseinander. sicht+sonnenschutz verfolgte wie 175 Teilnehmer den 6. Infotag von ASO Safety Ende September in Rheda und fasst wichtige Vorträge zusammen.

175 Teilnehmer kommunizierte ASO Safety offiziell hinsichtlich der Beteiligung am sechsten Infotag. Die Veranstaltung ist etabliert und fachlich über jeden Zweifel erhaben. - © Kober

Bei der Harmonisierung der Normen EN 13241-1 (sog. Produktnorm Tore), EN 12978 (Schutzeinrichtungen für kraftbetätigte Tore), EN 12635 (Einbau und Nutzung von Toren) greift laut PM-Chef Michael Hesse von GfA die „Vermutungswirkung“; danach sei mit ausreichender Sicherheit anzunehmen, dass „die Anforderungen der Maschinenrichtlinie erfüllt sind, wenn dies für diese drei Normen gilt“. Nicht harmonisiert, sondern wie die DIN EN 12604 bzw. 12605 (mechanische Aspekte) über die 13241-1 (da laut Klaus-W. Hein, ift, Teil 2 nicht mehr kommt, erübrigt sich künftig „-1“) herangezogen wird die EN 12453 (Nutzungssicherheit kraftbetätigter Tore), deren Revision 2003 (!) von Bologna
aus ihren Anfang nahm und die heute nach der Bearbeitung von 656 Kommentaren und zwei Formal Objections (F.O.) seitens der britischen Berufsgenossenschaft Health & Safety Executive (HSE) als zusammenhängendes Dokument vorliegt. Neu ist laut Hesse, dass danach das „Antriebssystem ab sofort die Steuerung und die sämtliche angeschlossene Peripherie beinhaltet“. Ist der Antrieb am Tor aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt, ist das in der EN 13849-1 geregelt, wohingegen
ein ganzes Antriebssystem die EN 60335-2-103 abbildet; der Referent spricht sich dafür aus, rein handbetätigte Tore nicht als Maschinen zu behandeln – schließlich speichere auch die Feder eines Kugelschreibers Energie, so dass am Ende noch das Schreibgerät in den Geltungsbereich der MSR fallen würde. Nichtsdestoweniger gelte es nach
DIN EN 12604 (mechanische Aspekte), bei derartigen Anlagen die Flügel mithilfe von Fangvorrichtungen gegen das Abstürzen zu sichern; das in prEN 12453 festgeschriebene Prüfverfahren nimmt darauf Bezug.

Ebenfalls ein Thema im Vortrag Hesses war die sog. Einfehlersicherheit: Danach darf ein Fehler niemals zu einer „gefährlichen Fehlfunktion“ führen – wie Entwickler/Designer dies sicherstellen, bleibe ihnen überlassen. Als produktspezifische Gefährdungen an Toren nennt Hesse Quetschen, Scheren, Einziehen: Bei Kipptoren beispielsweise lasse sich die Gefährdung Quetschen mit einer Schließkantensicherung beseitigen. Wichtig ist für das sog. Mindestschutzniveau hinsichtlich der Sicherung der Hauptschließkante die Frage, inwiefern eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Öffentlichkeit in den Schließbereich der Toranlage gerät; dann wäre eine sogenannte D-Einrichtung wie eine Lichtschranke gefordert. Dazu haben deutsche Gerichte entschieden, selbst Ketten bzw. Zäune schlössen die Öffentlichkeit nicht hinreichend sicher aus.

Erstmals präsent bei einem Infotag von Veranstalter ASO Safety war in Person des ö.b.u.v. Sachverständigen Klaus-W. Hein das ift Rosenheim; die wichtigste Botschaft des Fachmanns lautet: Wer sich beim Zukauf von Komponenten auf die Herstellererklärung verlässt, trägt nach dem Zusammenhang der Produktnorm 13241-1 mit der
Maschinenrichtlinie (Anhang ZB) ggf. die Last der Verantwortung; Hein empfiehlt explizit, stattdessen auf Komponenten zurückzugreifen, die über eine EG-Baumusterprüfung verfügen, selbst wenn sie teurer in der Anschaffung sind: Die vorgeschriebene Erstprüfung der Eigenschaften Widerstand gegen Windlasten, sicheres Öffnen, Betriebskräfte sei ohne Vorprüfungen bei einer notifizierten Stelle (wie dem ift) mit erheblichem Aufwand verbunden.

CE für alle

Zwar gebe es Ausnahmeregelungen, die es Kleinstbetrieben ermöglichten, die Nachweise mit einer Herstellerprüfung abzudecken; das gelte freilich keinesfalls für die Pflicht zur CE-Kennzeichnung. Neben dem künftig obsoleten Zusatz „-1“ entfalle bei EN 13241 fortan die Ergänzung „Produkte ohne Feuer- und Brandschutzeigenschaften“; ergänzend zu seinem Vorredner listet der Mann vom ift Rosenheim nochmals die Anforderungen aus der MRL auf, die neben der Produktnorm mechanische Aspekte (DIN EN 12604), Nutzungs- (EN 12453) und elektrische Sicherheit (EN 60335-1, EN 60335-2-103), Schutzeinrichtungen (EN 12978), funktionale Sicherheit (Stichwort „Einfehlersicherheit“, s.o.; EN 13849-1) und elektromagnetische Verträglichkeit (EN 61000-X) beinhalten. Sinnvollerweise sollten die Nummern auf der an die Stelle der Konformitäts- getretenen Leistungserklärung und der CE-Kennzeichnung ident sein. Den Abschluss des Normungsblocks bildet Sonja Frieß von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), die für die Berufsgenossenschaft Handel + Logistik die Regelsetzung für die Torbranche mitgestaltet: Auch hier sind die Dinge im Fluss, geht es aktuell um eine neue
Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV); empfehlenswert ist die Informationsschrift „Türen und Tore“ der DGUV, die Originalpassagen aus der Arbeitsstättenregel (ASR) zitiert und um klärende Anmerkungen und Beispiele ergänzt.

Wie die Referentin sagt, sei nach der Etablierung der über die ASR A1.7 durchgesetzten Schließkraftmessung zu beobachten, dass die Branche weitaus kritischer mit den normativ geregelten Anforderungen umgehe: So riefen Mitarbeiter großer Unternehmen bei ihr an, um zu monieren, dass der Prüfer den tatsächlichen Zustand der Anlage
kaum in Augenschein genommen habe, obschon das Tor gegen den T-Träger gefallen sei, also offenbar der Kraftbegrenzung bedürfe. Allein, dass trotz der Einführung der ASR bzw. der Kraftmessung die Unfallzahlen bei Türen und Toren – laut Frieß sieht die Statistik derzeit keine Differenzierung vor – im Verhältnis zu 2009 bis 2014 um neun Prozent angestiegen seien, relativiert ASO-CEO Helmut Friedrich: Es gelte hier zu berücksichtigen, dass ein erheblicher Anteil auf das Konto der zunehmenden Automatisierung sowie
der demografischen Entwicklung gehe; insbesondere Ersteres ist ein interessanter Hinweis, auch beim Infotag lautet eines der Schwerpunktthemen Industrie 4.0. Ganz konkret von seinen Erfahrungen mit der Schließkraftmessung berichtet Praktiker Rolf Klein, Unternehmer von Inovator: Der Anbieter habe sich nach der Neuregelung bewusst entschieden, in großem Maßstab in die Messwerkzeuge zu investieren; nach einem Jahr, in dem Inovator die Kraftmessungen seinen Kunden kostenfrei anbot, habe sich die Anschaffung heute längst gelohnt: „Unsere Kunden akzeptieren die Notwendigkeit der Messungen zur Gefahrenabwehr, wir nehmen an jedem Element vier Schließkraftmessungen vor und haben sämtliche Mitarbeiter dafür geschult“, verrät der 63-Jährige. Es komme durchaus vor, dass Inovator infolge eines unbefriedigenden Ergebnisses den Auftrag zum Austausch des nicht mehr funktionsfähigen Tores erhalte.

Das Fazit von Klein fällt positiv aus: „Wir haben bis heute zirka 10.000 SKM vorgenommen. Aus meiner Sicht hat die Schließkraftmessung dazu beigetragen, die Sicherheit an Toren zu verbessern.“ Reinhold Kober