Schadensfall 11-12/2018 Wenn die Scheibe reißt, liegt’s nicht (nur) am Plissee

Der Bundesverband der vereidigten Sachverständigen für Raum und Ausstattung (BSR) hat erneut die Vermutung widerlegt, dass Risse im Fensterglas dem innen liegenden Sonnenschutz anzulasten sind. Im untersuchten Fall war eine Vorschädigung des Glases Ursache für den Glasbruch, das bauphysikalisch bedingte Anliegen des Plissees an der Scheibe nur Auslöser.

Nach der Montage einer Abdunklungs-Wabenplisseeanlage bildete sich ein Riss in der dahinterliegenden Scheibe – thermisch bedingt. - © BSR/Fachbereich Sicht- und Sonnenschutz

Ein Kunde hatte am Holzrahmen einer Festverglasung im ersten Stock seines Wohnhauses eine frei hängende Abdunklungs-Wabenplisseeanlage mit Kettzugbedienung anbringen lassen. Seine Freude mit dem Produkt währte allerdings nicht lange. Bereits kurz nach der Montage beanstandete er einen Glasbruch an der dahinterliegenden Scheibe – einer Zweifach-Isolierverglasung mit den Maßen von 2.600 mal 1.300 Millimeter. Zur Klärung der Schadensursache bat das Qualitätsmanagement des Plisseeherstellers den Fachbereich Sicht- und Sonnenschutz im Bundesverband der vereidigten Sachverständigen für Raum und Ausstattung (BSR) um fachlich
beratende Unterstützung. Gemeinsam gingen sie dem Glasbruch auf die Spur (über die Ergebnisse berichtete zuerst die Fachzeitschrift „RZ“, Ausgabe 10/18).

SPURENSUCHE PLISSEEANLAGE

Beim Vor-Ort-Termin stellten der BSR-Sachverständige und der Firmenvertreter fest, dass der Stoff mittig an der Scheibe anlag – obwohl die Kettzuganlage am oberen Befestigungspunkt den Mindestabstand einhielt; dieser muss bei Abdunklungsplissees vom Behang bis zur Scheibe drei bis fünf Millimeter betragen. Die Überprüfung mit einem Senkblei ergab, dass der Abstand der Lotschnur zur Scheibe von oben bis unten gleichbleibend und die Scheibe damit gerade war. Zur Kontrolle bauten die Fachleute die Plisseeanlage aus und befestigten sie frei hängend an einer Hilfskonstruktion. Die Überprüfung, wiederum mit dem Senkblei, brachte dort folgendes Ergebnis: Die Anlage richtet sich nach fünf Minuten von selbst aus und hängt dann lotgerecht, sprich: gerade.

Um von vornherein auszuschließen, dass der Behang in sich eine konvexe Schüsselung aufwies, hatte der Sonnenschuthersteller eine neue, aus einer anderen Stoffcharge gefertigte Plisseeanlage zum Ortstermin mitgebracht. Die Montage dieser Anlage an das Glasfenster sollte zeigen, ob das Gewebe im ausgefahrenen Zustand konvex zur Scheibe hin ausbaucht. Das Ergebnis: Das Hängeverhalten des Behangs der neu angefertigten Anlage – mit der gleichen Wabengewebekonstruktion aus einer anderen Stoffcharge – entsprach exakt dem der ursprünglichen Anlage. Da sich auch bei diesem Behang keine Einschränkungen feststellen ließen, gehen die Experten von bauphysikalischen Zusammenhängen (z.B. Druckverhältnisse) als Ursache dafür aus, dass der Behang in Richtung der Scheibe gedrückt wird.

SPURENSUCHE VERGLASUNG

Einig waren sich die Fachleute darin, dass der Auslöser des Glasbruchs im Anliegen der Wabenplisseeanlage an der Scheibe zu suchen war. Aber lag darin auch die Schadensursache? Da man sich im Vorfeld darüber verständigt hatte, dass die gerissene Glasscheibe getauscht werden soll, war ein Glas- und Fensterbaufachbetrieb zum Ortstermin geladen worden, um den Austausch vorzunehmen. Den anwesenden Firmenvertretern sowie dem BSR-Vertreter war es zur Ursachenermittlung des Glasbruchs freigestellt, Protokoll zu führen und Bilder anzufertigen.

Beim Ausbau wurde – unter Zuhilfenahme der Klotzfibel – fest gestellt, dass die Verklotzung einwandfrei ausgeführt war. Fremdeinwirkungen, wie z.B. scheibenberührende Befestigungsnägel für die Glasleiste, ließen sich nicht feststellen. Die nach dem Ausbau des Glaselementes sichtbare Glaskante stuften die Experten dagegen – unabhängig von der Situation an der Bruchstelle – als unsauberen Schnitt ein. Wiederkehrend waren kleinere Kerben (Haifischzähne) und/oder Ausmuschelungen zu erkennen.

SCHADENSANALYSE BRUCHSTELLE

Begründet durch den Rissverlauf quer durch die Scheibe, kam zuerst der Verdacht auf, es handle sich um einen Torsionsbruch. Nach protokollierter Aussage des Nutzers bildete sich der horizontale, durchgehende Riss – von Rahmen zu Rahmen – jedoch erst mit der Zeit. Bei genauer mikroskopischer Betrachtung des Rissbeginns wurde sodann auch sichtbar, dass der Rissverlauf im 90-Grad-Winkel beginnt. Somit ließ sich eindeutig ein thermisch induzierter Stressbruch bei mittlerer Bruchenergie nachweisen. Die Wallner‘schen Linien zeigten nicht sehr starke Verästelungen mit einigermaßen willkürlichen Richtungswechseln.

Auffällig: Am Beginn der Bruchstelle war – ohne Nutzung einer Vergrößerung – eine leichte Einkerbung zu erkennen. Damit wies die Glasscheibe bereits einen Vorschaden auf.
Unter Zuhilfenahme einer achtfachen Vergrößerung ließen sich weitere Haifischzähne und Ausmuschelungen feststellen. Diese sind als ein die Scheibe signifikant schwächender Vorschaden anzusehen und beeinflussen die thermische Haltbarkeit von Glasscheiben. So auch in diesem Fall: Der thermische Stress, der durch einen sog. schroffen Temperaturwechsel entstand, entlud sich durch das Reißen der Floatglasscheibe.

LÖSUNG

Das wahrscheinlich bauphysikalisch beeinflusste konvexe Hängen des Plisseebehangs – eventuell bedingt durch den Luftdruck im Gebäude – und der dadurch entstehende Kontakt mittig an der Scheibe können als Auslöser des thermischen Stressbruchs gesehen werden – aber nicht als Ursache. Die Ursache lag in der Bewertung des BSR-Sachverständigen sowie des Firmenvertreters eindeutig in der dokumentierten Vorschädigung der Glaskante, welche beim Zuschnitt des Glaselementes entstanden war. Aus der Erfahrung heraus wäre der Glasbruch an dieser Stelle nicht vorgekommen, wenn die Glaskante nicht die deutlichen Vorschädigungen aufgewiesen hätte. Da dieser Sachverhalt sehr eindeutig war, mündete der Schadensfall in der Empfehlung, dass der Vertragspartner des Endverbrauchers, der Fensterbauer, mit diesem Wissen auf seinen Glaslieferanten zugehen soll, um einen berechtigten Regress anzumelden. Durch den Einbau einer ESG-Verglasung mit geschliffenen Glaskanten wäre ein abermaliger Glasbruch quasi ausgeschlossen. Die Temperaturwechselbeständigkeit einer derartigen Glasqualität ist um ein Vielfaches höher als bei Standard-Floatglas.