Schadensfall Lesen bildet – und schützt vor Schäden

Das Tuch des neuen Sonnensegels wies nach dem ersten Winter eine Scheuerstelle auf. Der Sachverständige war angesichts des Schadensbilds überrascht – wusste aber auch, wo er die Ursache zu suchen hatte.

Der Fachbetrieb hat das Sonnen­segel fach- und bestimmungsgemäß montiert. - © Müller

Die Kunden hatten beim örtlichen Fachhandel eine diagonal aufrollbare Sonnensegelanlage mit entsprechender Abspannung erworben und montieren lassen. Nach dem ersten Winter stellten sie eine Abriebstelle in der Bespannung fest. Sie fürchteten, dass das Segel im weiteren Verlauf an dieser Stelle reißen und undicht werden würde. Nachdem mit dem Fachunternehmen auch nach mehreren Kontakten keine Einigung zu erzielen war, reichten sie Klage beim zuständigen Amtsgericht ein.

Der hinzugezogene Sachverständige sollte klären, ob sich die Scheuerstelle aufgrund einer mangelhaften Beschaffenheit des Segels bildet oder aufgrund einer nicht hinreichend abgepolsterten Stange in der Segelkonstruktion.

Beurteilung

Vor Ort stellte der Sachverständige eine fach- und bestimmungsgemäß montierte Segelanlage fest. Die zirka 35 mal 25 Millimeter kleine Scheuerstelle nahm er erst wahr, nachdem er intensiv danach gesucht und das Tuch aus unmittelbarer Nähe begutachtet hatte. Zur Dokumentation fertigte er Mikroskopaufnahmen des Gewebes mit einer Vergrößerung von zirka 1:600 an.

Im Protokoll zur Tatsachenfeststellung heißt es: „Auf dem, in Richtung der Fixpunktlagerung am Sparren, linken Segeldreieck sind einige helle Flecken von außen, oben festzustellen. In der Durchsicht von unten sind an den Tüchern zunächst aus normaler Betrachterentfernung keine Auffälligkeiten zu erkennen. Bei näherem Hinsehen ist eine etwa 35 mal 25 Millimeter große Schadstelle festzustellen. Die Auffälligkeit liegt, bei einrollendem Tuch, im Bereich der beiden hier zusammenlaufenden Nähte auf dem oberen Tuch.“

Hintergrund

Da Sonnensegel derzeit von keiner harmonisierten Norm beschrieben werden, lassen sich dem Sachverständigen zufolge allenfalls die Hinweise aus EN 13561 zu Textilien heranziehen. Zu Scheuerstellen wird indes auch hier nichts ausgeführt. Schlussendlich handelte es sich auch nicht um einen optischen Mangel, sondern um einen Mangel in technischer Hinsicht. Denn aus fachlicher Sicht ist dem Sachverständigen zufolge davon auszugehen, dass diese Scheuerstelle auf Dauer durchbrechen wird.

In seinem Gutachten hielt er Folgendes fest: „Beim Aufrollen in unterschiedlichen Spannungszuständen je nach systembedingt gewählter Wellen- und/oder Tuchspannung kommt es zu einem mehr oder weniger starken, aber immer vorhandenen Aufliegen des oberen Tuchs auf der darunterliegenden Tuchnahtkante und, insbesondere bei Wellendurchhang oder Veränderung der Wellenspannung beziehungsweise der Einholhöhe in dieser Position, zu einem Scheuern an dieser.“

Analyse

Der Sachverständige nimmt nach eigenen Angaben jährlich drei bis vier Segel dieses Herstellers in Augenschein. In keinem Fall habe er bislang eine Scheuerstelle wie im vorliegenden Fall vorgefunden. Das veranlasste ihn zu der Annahme, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Einflüsse maßgeblich hinzugekommen sein mussten, um dieses Schadensbild zu erzeugen.

Des Rätsels Lösung: Die auffällige Scheuerstelle liegt im unmittelbaren Bereich der Tuchwelle. Auf Bitte des Sachverständigen rollte die Nutzerin das Segel beim Vor-Ort-Termin einmal ein und anschließend wieder aus. Hierbei wurde das Segel so weit ausgerollt, dass der darunterliegende Tisch beschattet wurde. Was dabei auffiel: Die Welle lag blank und war nicht mehr vom Tuch abgedeckt.

Lösung

Der Gebrauchsanleitung ist, wie auch vor Ort festgestellt, zu entnehmen, dass bei bestimmungsgemäß gespanntem Segel drei Tuchumdrehungen auf der Welle verbleiben. Ein Scheuern zwischen Tuch und Welle kann sich so nicht ereignen. Die Nutzer des Segels hatten offensichtlich die Anleitung nicht zur Kenntnis genommen, das Segel bei Bedarf komplett ausgezogen und hierbei „übersehen“, dass es zum Scheuern des Tuchs kommt, vor allem bei etwas Wind.

Einschätzung des Sachverständigen

Dipl.-Ing. Gerd-Joachim Müller ist ö.b.u.v. Sachverständiger der IHK Frankfurt am Main für Tore, Sonnenschutz und Rollläden.

Leider kann man den Endverbraucher nicht zwingen, die Anleitungen zur Kenntnis zu nehmen. Es ist aber auch nicht verboten, ihn darauf hinzuweisen.