Meisterprüfung wird digital „Die Handwerkskammer Wiesbaden hat Neuland betreten“

Meisterprüfung 2.0 an der Handwerkskammer Wiesbaden: Bei der theoretischen Meisterprüfung im Rollladen- und Sonnenschutztechnikerhandwerk wurde erstmals ein Handlungsfeld in digitalisierter Form geprüft. Dozent Wolfgang Löster, der die Neuerung angeregt und umgesetzt hat, erläutert Ablauf und Vorteile für Prüfer und Schüler.

In Wiesbaden legen Meisterschüler die Prüfung teilweise online ab. - © Löster

sicht+sonnenschutz:Herr Löster, die Prüfungsabnahme in elektronischer Form kennt man z.B. von der theoretischen Führerscheinprüfung. Wie üblich ist diese Prüfungsform im Handwerk?

Löster: So weit ich es beurteilen kann, ist das einmalig im Handwerk – zumindest im Prüfungsteil Fachtechnologie. Die Handwerkskammer Wiesbaden hat hier Neuland betreten. Ich bin sehr stolz darauf, dass gerade unser innovatives Gewerk hier den Vorreiter macht.

sicht+sonnenschutz:Wie läuft die digitalisierte Prüfung ab?

Löster: Prüfungsfragen werden nicht in Papierform gestellt. Die komplette Prüfung ist online gespeichert. Die Antworten werden auf dem Bildschirm ausgewählt oder eingetragen. Papier kommt aber weiterhin zum Einsatz, z.B. als Dokument, das zur Beantwortung einer Frage erforderlich ist, oder als Rechenblatt, auf dem der Rechenweg dokumentiert werden muss. Nur Zwischen- und Endergebnis werden am Bildschirm eingetragen.

sicht+sonnenschutz:Was bedeutet das für die Prüfungsfragen?

Löster: Der Klassiker ist natürlich Multiple Choice mit einer Reihe von richtigen und falschen Antworten. Das versuche ich allerdings zu vermeiden, weil es die Kreativität einschränkt und nicht unbedingt dem Niveau einer Meisterprüfung entspricht. Ich finde Lückentext gut oder auch Zuordnung. Dabei müssen Begriffe in Lücken eingeordnet oder in einer Grafik zugeordnet werden. Auf jeden Fall sollten einige Fragen vom Format her Freitext sein, so dass der Prüfling selbst formulieren muss – mehr oder weniger umfangreich. Hier hat die Digitalisierung den Vorteil, dass der Prüfer bei der Korrektur nicht erst die Handschrift entziffern muss.

Sicht+Sonnenschutz: Besteht nicht die Gefahr, dass es technische Probleme gibt und die Prüfung nicht stattfinden kann?

Löster: Es kann immer etwas schief gehen. Auch bei der Prüfung in Papierform kann die Beleuchtung oder die Heizung ausfallen, und die Prüfung muss verschoben werden. Es hat aber alles reibungslos geklappt, dank der vorbildlichen technischen Ausstattung des BTZ der HWK Wiesbaden und Dank der tatkräftigen Unterstützung durch den IT-Techniker M. Steinfeld vom BTZ. Selbstverständlich hatte der Prüfungsausschuss eine PDF-Datei parat, mit einer Prüfung in üblicher Form, die schnell hätte ausgedruckt werden können.

Sicht+Sonnenschutz: Und wie ist es mit der Datensicherheit? Elektronische Daten könnten doch verloren gehen oder gehackt werden?

Löster: Das BTZ verfügt über eine Instanz der Lernplattform moodle des ‚Bildungsservers‘ des hessischen Kultusministeriums, die kostenlos genutzt werden kann. Sämtliche Fragen und Antworten sind dort sicher und unzugänglich gespeichert und werden regelmäßig gesichert. Die Prüfungsergebnisse wurden zusätzlich direkt nach der Prüfung auf dem Server der HWK als Backup gesichert. Die Auswertung der Prüfung mit sämtlichen Kommentaren der Prüfer habe ich der Prüfungsabteilung als PDF-Dokument mit mehr als 300 Seiten übergeben. Ein Ausdrucken wäre jederzeit möglich, wenn es gefordert wäre.

Sicht+Sonnenschutz: Wenn die Prüflinge die Fragen in einem Browser beantworten, dann haben sie doch auch Zugang auf den Computer bzw. ins komplette Internet und könnten dort einen Spickzettel hinterlegen. Macht das die Prüfung nicht regelwidrig?

Löster: Es gibt da ein Hilfsmittel, das an der ETH Zürich entwickelt wurde, den ‚safe exam browser‘. Die Prüfung findet in einem ‚Kioskmodus‘ statt. Die Prüflinge haben nur Zugang die Seiten und lokalen Verzeichnisse die benötigt werden. Das Beenden dieses Browsers, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Firefox hat, durch die Prüflinge ist nicht möglich. Herr Steinfeld hat das auf den PCs eingerichtet. Er war zuerst skeptisch und ist jetzt begeistert, wegen der Möglichkeiten und der einwandfreien Funktion.

sicht+sonnenschutz: Durch die Digitalisierung lässt sich Papier sparen. Welche weiteren Vorteile bringt die Prüfung am PC?

Löster: Natürlich wird der Korrekturaufwand für den Prüfungsausschuss reduziert. Das allerdings nur sehr bedingt: Bei einer digitalisierten Prüfung sind in der Regel mehr Fragen zu beantworten und zu korrigieren als bei einer herkömmlichen. Aber es ist eine Erleichterung, wenn die Software gleich anzeigt, ob die Antwort richtig ist bzw. was die richtige Antwort ist. Dann muss nur noch kontrolliert werden, ob die als falsch markierten Antworten nicht doch richtig sind, z.B. wegen eines Schreibfehlers. Die Freitextfragen müssen auf jeden Fall händisch kontrolliert und bewertet werden. Auch dabei leistet die Software Hilfe, weil die Antworten nebeneinander dargestellt werden können.

sicht+sonnenschutz: Und welche Vorteile haben die Meisterschüler?

Löster: Seit 1981 gibt es eine Sammlung von Prüfungs- und Übungsfragen, die beim BVRS mittlerweile in der vierten Auflage erhältlich ist. Sie war immer schon ein wichtiges Hilfsmittel bei der Prüfungsvorbereitung. Die digitalisierte Fragensammlung, aus der ein großer Teil der Prüfungsfragen entnommen wird, kann dem gleichen Zweck dienen. Dabei lassen sich beliebig oft Musterprüfungen mit zufä llig zugeordneten Fragen generieren und übungsweise beantworten. Bei vielen Antworten sieht der Prüfling dann sofort, ob er richtig liegt. Ansonsten, und vor allem bei Freitextfragen, ist es möglich, dass die Prüflinge sich gegenseitig bewerten. Bei den Teilnehmern der diesjährigen Prüfung habe ich auf meiner eigenen Lernplattform vor der Prüfung ein gesteigertes Übungsverhalten feststellen können.

sicht+sonnenschutz: Ein Fragenpool? Wird die Prüfung dann nicht zu einfach?

Löster: Bei der aktuellen Prüfung waren eine ganze Reihe von Fragen dabei, die nicht aus dem digitalen Fragenpool stammten, sondern aus dem gedruckten Katalog mit 1.200 Möglichkeiten. Fragen, bei denen es um Berechnungen geht, z.B. des U-Werts, habe ich so programmiert, dass die Werte der Aufgabe aus einer Werte-Datenbank zufällig entnommen werden. Es gibt für jeden Prüfling unterschiedliche Werte, die aber doch realistisch sind. Somit können Ergebnisse nicht auswendig gelernt werden. Das ist auch bei Kalkulationsaufgaben möglich, die ich zu Übungszwecken zur Verfügung gestellt hatte, die bei der eigentlichen Prüfung aber noch in der herkömmlichen Form gestellt wurden.

sicht+sonnenschutz: Was bedeutet ein digitalisierter Fragenkatalog für die R+S-Branche?

Löster: Auf jeden Fall ist es ein großer Schritt in die Zukunft. Ein kleines, innovatives Gewerk, das zu den neuen Youngstern in der Meisterpflicht gehört, hat jetzt die Chance, beispielgebend zu sein. Die Handwerkskammer Wiesbaden unterstützt mich dabei. Ein digitalisierter Übungsfragenkatalog hat den Vorteil, dass er ständig aktualisiert werden kann. Das ist Digitalisierung, wie ich sie mag: ohne große Investition in Hardware, sondern durch intelligente Lösungen. Die Übungsprüfungen haben die Teilnehmer teilweise auf dem eigenen Smartphone gemacht.

sicht+sonnenschutz: Welchen Einfluss wird die Digitalisierung in Zukunft auf Aus- und Weiterbildung haben?

Löster: Es wird nicht lange dauern, dann sind digitalisierte Prüfungen der Standard. Das Lösen von Prüfungsfragen zur Übung ist eine Form des Lernens. Zusammen mit anderen neuen Methoden, die durch das Internet möglich sind, können sich ganz neue Lernformen entwickeln, beispielsweise Blended Learning und Inverted Classroom. Das wird auf den Berufsschulunterricht, aber gerade auch auf die Form von Meisterkursen, die heute in einem monatelangen Block oder berufsbegleitend abends stattfinden, ganz erhebliche Auswirkungen haben.