Die Auswirkungen der geänderten Verordnung für die Branche Die Pflicht ruft: Tageslicht an Arbeitsplätzen

Tageslicht in Arbeitsräumen und eine Sichtverbindung nach draußen – das schreibt die neue Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) der Bundesregierung vom Oktober 2014 verbindlich vor. sicht+sonnenschutz beleuchtet, welche Folgen das für die Branche hat.

Eine gute Tageslichtplanung führt zu einer lichtdurchfluteten, angenehmen Architektur. - © FVLR

"Die Bundesregierung beseitigt somit einerseits frühere Mängel und trägt andererseits den Erkenntnissen aus der Tageslichtforschung Rechnung. Tageslicht wirkt sich positiv auf die Motivation, Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Mitarbeiter aus und sollte daher ein unverzichtbarer Bestandteil jedes Arbeitsplatzes sein“, erklärt Wolfgang Cornelius, Tageslichtreferent des Fachverbands Tageslicht und Rauchschutz (FVLR). Ein regulierbarer Sonnen- und Blendschutz am Fenster oder am Dachoberlicht könne zudem Beeinträchtigungen durch übermäßige Sonneneinstrahlung am Arbeitsplatz verhindern. Cornelius: „Wir begrüßen diesen Vorstoß außerordentlich und hoffen nun auf eine schnelle Bestätigung durch die Länderkammer.“ Dass der Mensch heutzutage „mehr als 90 Prozent seiner Zeit in Innenräumen verbringt, in denen es meist viel zu dunkel ist“, betont auch Dr. Beatrice Wagner. Die Lehrbeauftragte für medizinische Psychologie und Chronobiologie-Wissenschaftlerin hat die (positiven) Auswirkungen von Tageslicht auf den menschlichen Organismus untersucht. „Mit speziellen Rezeptoren im Auge können wir die Lichthelligkeit, die Lichtwellen und die Lichtfarbe wahrnehmen. Diese Informationen werden an unsere innere Uhr, die sich im Gehirn befindet, weitergeleitet.“

Tageslicht und Gesundheit: ein Topthema heute und morgen

Auf diese Art wisse der Mensch, ob es morgens, mittags oder abends ist. Dementsprechend sei Tageslicht unerlässlich, um die „inneren Stoffwechselvorgänge zu regulieren und aufeinander abzustimmen“. Wer sich die meiste Zeit in Innenräumen mit Kunst- statt Tageslicht aufhalte, ist nach Aussage Wagners aufgrund von Lichtmangelstörungen anfällig für depressive Verstimmungen, Gefühlsschwankungen, Schlafstörungen und vieles mehr. Beatrice Wagner: „Damit es uns wieder besser geht, wir wieder fitter und leistungsfähiger werden, brauchen wir also mehr Tageslicht. Die neue Arbeitsstättenverordnung ist deshalb begrüßenswert.“ Dass sich immer mehr Arbeitgeber – nicht nur aufgrund von Verordnungen
- mit dem Thema befassen, bestätigt unserer Zeitschrift auch Architektin Jutta Eiberger. „Heutzutage geht es darum, die Mitarbeiter langfristig an das Unternehmen zu binden – das funktioniert auf Dauer nur in einem angenehmen Arbeitsumfeld. Deshalb spielen auch das Thema Licht am Arbeitsplatz und somit auch möglichst viel Tageslichtnutzung eine große Rolle“, sagt Eiberger. Andreas Danler, Tageslichtexperte vom Büro Bartenbach, nimmt seinerseits wahr, dass die Themen Licht und Gesundheit immer stärker in den Fokus rücken. „Aber leider werden die positiven Eigenschaften von Tageslicht bislang viel zu wenig genutzt“, beklagt er. Seiner Meinung nach ist Tageslicht gleichzusetzen mit Raumqualität: „Doch in 90 Prozent der Fälle geht es um die Vermeidung von zu viel Sonnenenergie. Deshalb brauchen wir mehr Spezialisten, die das Thema professionell betrachten“, fordert der Experte und empfiehlt Verarbeitern von Sicht- und Sonnenschutz-Produkten, sich zu diesem Thema gezielt weiterzubilden. Und das tun offenbar auch die Hersteller von (Dach-) Fenstern und Oberlichtern, um ihren Kunden entsprechende Produkte zu bieten. Ein ganzes Symposium zum Thema Tageslicht und Gesundheit veranstaltete gar Velux Deutschland vor zwei Jahren, wie Pressesprecherin Astrid Unger im Gespräch mit sicht+sonnenschutz erklärt. „Die dort vorgestellten wissenschaftlichen Erkenntnisse deuten zweifelsfrei darauf hin, dass das uns umgebende Licht eine direkte Wirkung auf Körper und Geist des Menschen hat.“ Und auch die Wohnexperimente im Zuge des internationalen Model-Home-2020–Projekts von Velux hätten dies bestätigt. Unger: „Die Bewohner der hellen, lichtdurchfluteten Einfamilienhäuser waren nach eigener Auskunft seltener krank, fühlten sich insgesamt ausgeglichener
und benötigten weniger Schlaf als vor dem Experiment.“ Ein Schlüssel sei die Sichtverbindung nach draußen. „Nur das Fenster und somit der Zugang zum dreidimensionalen Raum gibt uns Menschen das Gefühl, mit der Außenwelt in Verbindung zu stehen“, betont Unger. Darüber hinaus könnten Fenster, wie der Hersteller sie bietet, mit einer sensorgesteuerten,
natürlichen Belüftung für ein gesundes Raumklima sorgen, ohne dass dafür künstliche und energiefressende Klimaanlagen notwendig seien. „Obendrein verhindert intelligent
gesteuerter Sonnenschutz eine zu intensive Blendwirkung oder eine Überhitzung von Innenräumen durch die direkte Sonneneinstrahlung“, sagt die Velux-Pressesprecherin; eine Chance also für alle Anbieter und Verarbeiter von entsprechenden Sicht- und Sonnenschutz-Systemen. Das Unternehmen Kadeco Sonnenschutzsysteme beispielsweise greift das Thema Blendschutz an Bildschirmarbeitsplätzen in Verbindung mit den Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung explizit in seiner (Kunden-)Broschüre über Lamellensysteme
auf. Darin heißt es: „Störende Lichtreflexionen können durch Lamellenvorhänge bestmöglich verhindert werden, genauso wie das Tageslicht in den Räumen reguliert einstrahlen kann.“ Gleichzeitig könnten Lamellen auch ein effektiver Wärmeschutz sein. Durch spezielle Beschichtungen an der Rückseite werde die Wärmestrahlung der Sonne reflektiert und reduzierten sich Energiekosten – z.B. für Klimaanlagen im Sommer – deutlich. „Mit Lamellenvorhängen schaffen Sie optimale Licht- und Arbeitsbedingungen, besonders an
Computerarbeitsplätzen. Dabei ist auf den Transmissionswert des Vorhangstoffs zu achten, denn dieser gibt an, wie viel Sonnenlicht der Stoff durchlässt“, teilt Kadeco mit.

Konkret verlangt die verschärfte Verordnung, dass Arbeitsräume und Bereiche wie Sanitär-, Pausen- und Bereitschaftsräume oder Kantinen ausreichend Tageslicht erhalten und eine
Sichtverbindung nach draußen besteht.

Mit Lichtkuppeln und Lichtbändern umsetzbar

Tatsächlich gibt es aber auch Ausnahmen, allerdings ist laut FVLR „die Beleuchtung nun wesentlich eindeutiger, ausführlicher und greifbarer geregelt“. Unter anderem sind Arbeits -
stätten mit einer Grundfläche von mindestens 2.000 Quadratmeter von der Regelung der Sichtverbindung ausgenommen, sofern Oberlichter oder andere bauliche Vorrichtungen Tageslicht in den Raum lenken und eine gleichmäßige Beleuchtungsstärke im Raum schaffen. „Unter Verwendung von gleichmäßig auf die Dachfläche verteilten Dachoberlichtern in Form von Lichtkuppeln oder Lichtbändern ist die Vorgabe der Richtlinie auch in Industriehallen sehr gut umsetzbar“, findet der Tageslichtexperte. „Selbst wenn eine Sichtverbindung nach draußen nicht möglich ist, ist für die Mitarbeiter ein ausreichendes Maß an Tageslicht mit all seinen Vorteilen gesichert.“ Dachoberlichter wie Lichtkuppeln und Lichtbänder lassen
sich in Produktions- und Industriehallen in der Regel mit vergleichsweise geringem Aufwand nachrüsten. Kerstin Pätzold