Steht die Sonnenschutz-Branche vor einem Strukturwandel? Das Handwerk braucht die Industrie – und umgekehrt

Ist die Rolle des qualifizierten Fachhandwerks als Marktmittler gefährdet, weil der Bauherr immer besser informiert ist und den Einbau großenteils selbst übernimmt; und weil die herstellende Industrie die Fachhandelsmarge lieber aufs eigene Konto einzahlt?

Auf Initiative von sicht+sonnenschutz (2. v.re. Reinhold Kober; Filminterview siehe www.sicht-sonnenschutz.com) diskutierten im April in Stuttgart IVRSA-Vorsitzender und geschäftsführender Weinor-Gesellschafter Thilo Weiermann, Handwerks-Unternehmer Otto Rall, sein Kollege und BVRS-Präsident Georg Nüssgens sowie BVRS-Geschäftsführer Christoph Silber-Bonz (v.li.n.re.) die Frage eines Strukturwandels im Sonnenschutz. - © Heiler

Ganz so dramatisch ist die Lage glücklicherweise nicht, glaubt man den Diskutanten vom 8. April 2014 am Stuttgarter Flughafen: Otto Rall ist neben Winfried Mettler Geschäftsführer der handwerklich geprägten MR-Gruppe mit 70 Mitarbeitern und den badenwürttembergischen Standorten Tübingen, Leinfelden-Echterdingen, Böblingen, Stuttgart; Christoph Silber-Bonz (Geschäftsführer) und Georg Nüssgens (Präsident) vertreten die Spitze des BVRS, mithin also die qualifizierten Betriebe im Gewerk – Letzterer ist Inhaber von Rollladen Kutsch in Aachen; Thilo Weiermann ist Vorsitzender der ITRSFachgruppe Industrievereinigung Rollladen, Sonnenschutz, Automation (IVRSA) und hat zuletzt als Weinor-Chef mit der
Entscheidung für Schlagzeilen gesorgt, wie seine wichtigsten Markisen-Mitbewerber auf eine Teilnahme an der R+T 2015 zu verzichten.

In der von sicht+sonnenschutz initiierten Runde kennzeichnete der geschäftsführende Gesellschafter des Kölner Anbieters von Markisen und Kaltwintergärten den Entschluss als „unternehmerische Entscheidung“, mit Weinor aktuell mehr die Bestandskunden in den Fokus zu nehmen. Dies wollte Weiermann explizit nicht als Bewertung der Messe-Qualität in Stuttgart missverstanden wissen: „Unternehmen, die in unseren Märkten weniger etabliert sind bzw. ihr Hauptaugenmerk auf das Exportgeschäft richten, sind auf der R+T sicher richtig. Dementsprechend war unsere Standfläche quasi weg, noch ehe sie richtig frei war.“ Dem Urteil, es gebe an den zentralen Messeplätzen der jeweiligen Branchen kaum mehr echte Neuheiten zu sehen, schloss sich hingegen Verbandsgeschäftsführer Christoph Silber-Bonz nicht an; und auch beim Argument, der Außendienst halte selbst ohne den Treffpunkt Messestand ständig Kontakt zu den Kunden, intervenierte der R+S-Experte: „Wenn wir hier zu Recht darüber sprechen, dass unsere Branche in Bewegung ist, dann mag ich nicht daran glauben, dass jeder Betrieb für jedes Segment mit einem Lieferanten verheiratet ist und sich deshalb für nichts interessiert, was sonst noch in den Hallen einer solchen
Leitveranstaltung zu sehen ist.“

Zwischenfazit 1: Ob Produktion, Handel oder Verarbeitung – kaum jemand, der in den nächsten Jahren im Sonnenschutz mitspielen will, wird darauf verzichten, einen Fuß in die Ausstellungshallen zu setzen. Zu entdecken gibt es immer etwas; und in seinem Bereich up to date zu sein, entscheidet mehr denn je über Profit oder Pleite. Dass Aussteller Alternativen prüfen, ist ihr gutes Recht – auch wenn dies für die Fachbesucher bedauerlich ist.

In diesem Zusammenhang wies Otto Rall darauf hin, dass der Pulsschlag im Kollegenkreis, bei Lieferanten und Marktpartnern schon vorher steige, ehe der Rhythmus der Innovations-Nachrichten alle drei Jahre in Stuttgart kulminiere: „Da kommt schon das meiste vorher raus. Ich sehe das, was mein A-Lieferant auf der Messe vorstellt, sicher nicht zum ersten Mal bei dem am Stand.“ Schließlich, gab Weiermann zu bedenken, müssten die Verarbeiter und Fachpartner ja bspw. im Fall von Systemumstellungen nicht unwesentliche Vorkehrungen treffen und seien also auf einen zeitnahen Informationsfluss angewiesen. Der Kölner Unternehmer stellte klar, dass er für qualifizierte Handwerksbetriebe ein hohes
Maß an Respekt empfinde und mit Weinor keinerlei Ambitionen habe, deren Geschäft zu übernehmen. „Ich glaube nicht, dass wir das besser können. Und Themen wie die demografische Entwicklung treffen uns auch nicht in geringerem Umfang.“

BVRS-Präsident Georg Nüssgens bekannte sich einmal mehr zur Verantwortung für die nächste Generation: schlossen, will ich wieder einen möglichst reibungslosen Übergang zum
nächsten Lehrling hinbekommen.“ Als Vater hatte sich der Handwerksunternehmer besonders gefreut, dass sein Sohn vom Fenstereinbau bei einem Schreiner im Zuge eines absolvierten Schülerpraktikums so begeistert gewesen war – zur allgemeinen Erheiterung berichtete Nüssgens davon, wie er dem Filius die resultierende Bereitschaft in sein Berichtsheft diktiert habe, einst den väterlichen Betrieb zu übernehmen. Geschäftsführer Silber-Bonz verwies auf die millionenschwere Marketingkampagne des ZDH für das Handwerk in Gänze: „Das bringt auch Synergieeffekte für unsere eigenen Anstrengungen, den modernen Beruf des Rollladen- und Sonnenschutzmechatronikers, der vor einigen Jahren den Rollladen- und Jalousiebauer abgelöst hat, zu bewerben.“ Der Verband habe sich auf die Fahnen geschrieben, sowohl dem drohenden Fachkräftemangel als auch dem Rückgang während der zurückliegenden Jahre bei der Zahl der Innungsbetriebe aktiv zu begegnen. Im engen Zusammenspiel mit den Mitgliedsinnungen seien hierbei durchaus auch schon
Erfolge erzielt worden. Bei der Zahl der Innungsbetriebe sei der Rückgang gestoppt. Zwischenzeitlich seien nicht wenige Organisationen des Sonnenschutzhandwerks, teils mit eigenen Messeständen, auf Lehrlingsbörsen präsent. Dennoch wollten weder Weiermann noch Nüssgens von einer Marktbereinigung im Handwerk sprechen, der BVRS-Präsident
sieht gerade kleine Betriebe mit einem bis drei Beschäftigten „so schlecht nicht aufgestellt“. Und der Weinor-Chef riet nicht zuletzt Inhabern kleinerer Betriebe dazu, sich zu überlegen,
„was sie tun wollen und was nicht“. Er, Weiermann, habe mehr Respekt vor einem Fachmann, der eine Sache richtig gut beherrsche, als vor einem Allrounder, der nur bemüht sei, alles auch irgendwie ein bisschen abzudecken.

Zwischenfazit 2: Spezialisierung oder ein breites Sortiment? Hier gehen die Meinungen auseinander. Klar scheint indes, dass gerade bei komplexeren Themen die Treue zu einem Systemlieferanten ihre Vorzüge hat. Schließlich ist es anderenfalls schwierig, eine ausreichend hohe Qualifizierung zu gewährleisten – eben vor allem für die kleineren Betriebsgrößen, wie sie im R+S-Gewerk nach wie vor nicht untypisch sind.

Otto Rall indes bestätigte, dass es für kleinere Betriebe zunehmend anspruchsvoller werde, insbesondere im Hinblick auf energetische Vorgaben bzw. bürokratische Schmankerl wie das CE-Zeichen, die Bauproduktenverordnung oder die Unternehmererklärung, auf dem Laufenden zu bleiben und vielleicht noch eine Beratung zur KfW-Fördersituation anzubieten. Überhaupt Beratung: Nüssgens, Inhaber von Rollladen Kutsch in Aachen, brachte sogar das Thema Beratungsgutscheine ins Gespräch. Zunehmend stellten nämlich Abnehmer ganz klar definierte Anforderungen: „Die sagen mir ganz nonchalant, sie wollten meine Ausstellung nicht mitbezahlen, und ich sollte ihnen einfach nur das Produkt schicken.“ Der Handwerksunternehmer berichtete von Betriebsschließungen, die die Geschädigten auf eine Art von Beratungsdiebstahl zurückführten; nach dem Motto: beim Handwerker gratis informieren und dann im Internet günstig investieren.

Fairplay sieht zweifellos anders aus. Otto Rall outete sich bei der Frage nach der Sortimentsbreite als Freund der Ein-Marken-Strategie: „Wir haben in jedem Bereich einen A- und einen B-Lieferanten. So stellen wir sicher, im entsprechenden Segment wirklich die Produkte zu kennen.“ Der Rollladen-Unternehmer erklärte, wie schwierig es ist, geeignete Kandidaten zu finden, wenn man wirklich ausbildungsbereit sei: „Durch den Wegfall der Hauptschule ist diese Aufgabenstellung für uns noch anspruchsvoller geworden.“ Rolladen Rall beschäftigt dennoch bei 70 Mitarbeitern tolle 13 Nachwuchsleute – ein vorbildlicher Schnitt; bei Weinor sind es 35 Azubis bei einer 270er-Gesamtbelegschaft.

Auffällig war, dass in der Diskussion über die Herausforderungen der Zukunft und die Voraussetzungen, diese erfolgreich zu bestehen, nicht nach der Politik gerufen wurde. Dagegen bekannte sich Otto Rall von der starken MR-Gruppe in Baden-Württemberg ganz klar zum eigenen Anspruch, Trends zu erkennen und entsprechend in die Strategie des eigenen Unternehmens aufzunehmen, indem bspw. geschulte Mitarbeiter bewusst für ein Thema wie die Hausautomation abgestellt werden. Ins gleiche Horn stieß Georg Nüssgens, der wie Rall vorzugsweise in der Sanierung tätig ist: „Ich erwarte von einem Handwerksmeister, dass er bereit ist, sich mit den wichtigen Neuheiten seines Gewerks vertraut zu machen. Erst dann kann er doch für sich seriös beurteilen, wie erfolgsträchtig ein Thema für den eigenen Betrieb sein kann und ob es lohnt, darauf zu setzen.“

Fazit: Am Ende bleibt als Versprechen Nüssgens’ Wort von der Zukunftsfähigkeit des Handwerks wie des Gesundheitssektors: „Wer eine physiotherapeutische Behandlung braucht, dem nützt das Internet so wenig wie dem Bauherrn, der eine qualifiziert hergestellte, beratene und montierte Markise benötigt.“ Die Industrie tut gut daran, sich nach den richtigen Partnern umzusehen – gerade die Großen haben hier zuletzt ihre bestehenden Strukturen auf den Prüfstand gestellt. Dagegen schadet es auch dem Handwerk nicht, mal einen Blick auf Themen der großen Spieler wie Möglichkeiten, das eigene Unternehmen für Fachkräfte attraktiv zu machen, und innerbetriebliche Aus- und Weiterbildung zu riskieren. Voneinander zu lernen, war noch nie falsch – dafür allerdings ist die Weltleitmesse R+T genau der richtige Rahmen.

Auf www.sicht-sonnenschutz.com haben dazu die beiden Gesprächsteilnehmer Georg Nüssgens und Thilo Weiermann zentrale Thesen formuliert; das sollten Sie sich ansehen.