Schadensfall 6/14 Beantworten Sie krude Thesen mit gesundem Menschenverstand

In manchen Fällen muss der Sachverständige Detektiv spielen, um die Ursache für den Schaden zu finden. Im konkreten Fall musste der Experte klären, ob ein Orkan die Wintergartenmarkise sturmreif geschossen hatte oder ob andere Faktoren (mechanische Störung, Abnutzung) im Spiel waren.

Der Windwächter war so stark beschädigt, dass er seine Funktion nicht mehr erfüllte. - © Rinn

Der gerufene Sachverständige traf auf eine Wintergartenmarkise, die das exponierte Glasdach eines nach Westen ausgerichteten Wintergartens in einem deutschen Mittelgebirge schützte. Die zirka 770 Zentimeter breite und 210 Zentimeter lange Anlage wies zwei Behang-Felder auf, die der Nutzer mit zwei separaten Motoren fuhr. Die zirka 20 Jahre alte Markisenanlage verfügte über ein so genanntes Gegenzugsystem mit Drahtseilen. Ein Windfühler an der südwestlichen Ecke des Wintergartens sollte dafür sorgen, dass die Markise bei starkem Wind einfuhr.

Schadensbild

Beide Anlagen waren bei der Ortsbesichtigung nicht funktionsfähig. Die rechte der beiden Anlagen gab ein Bild des Jammers ab: Die Drahtseile der Gegenzuganlage waren gerissen, der Markisenstoff hing teilweise in Fetzen und andere Teile, z.B. die Laufschlitten, hatten deutlich bessere Tage gesehen. Eine der beiden streitenden Parteien behauptete, ein Orkan habe zunächst die drei Schaufeln des Windfühlers abgerissen. Weil die Markise deshalb nicht mehr selbstständig einfuhr, habe derselbe Sturm die ganze Anlage zerstört.

Schadensanalyse

Bei näheren Untersuchungen konnte der Experte diesen Schadenshergang zwar nicht zweifelsfrei ausschließen, er fand jedoch eine Reihe von Indizien, die auf andere Ursachen hinwiesen. Die Kunststoff-Ummantelung der Drahtseile war an mehreren Stellen beschädigt bzw. über weite Strecken abgeblättert, teilweise bedeckte Rost das Drahtseil.
Hinweise auf irgendeine Wartung fand der Sachverständige dagegen nicht. Die auf Sturmschaden plädierende Partei berief sich auf die Aussage des ursprünglichen Herstellers der Markise, der damals mit Wartungsfreiheit während der Lebensdauer der Markise warb. Diese Seite ging also davon aus, dass eine regelmäßige Wartung nicht Voraussetzung für einen dauerhaft störungsfreien Betrieb der Markise sei. Vielmehr vermutete diese Partei sogar eine gezielte Verkürzung der Lebensdauer durch die Hersteller solcher Anlagen und zog
einen Vergleich zum sog. Glühbirnenkartell von 1924. Damals hatten die Hersteller von Glühbirnen deren Lebensdauer vorsätzlich auf 1.000 Stunden begrenzt.

Hintergrund

Wintergartenmarkisen mit Gegenzugsystemen sind technisch ziemlich anspruchsvolle Anlagen, bei denen die Konstruktion große Lasten abtragen muss. Zudem verrichten die Anlagen ihren Dienst in der Regel an sehr exponierten Stellen. Sie müssen extremer Sonnenbestrahlung und Hitze im Sommer ebenso widerstehen wie Kälte, Eis, Schnee und Nässe im Winter – und das über viele Jahre. Hinzu kommt, dass Wintergartenmarkisen über das gesamte Jahr und sogar bei Abwesenheit der Nutzer des Wintergartens arbeiten, um das Klima im Wintergarten und die Sonneneinstrahlung zu beeinflussen. Die Terrassenmarkise fährt dagegen meist nur im Sommer und im Herbst bei Anwesenheit der Nutzer.

Lösung

Auch wenn im Gutachten eine Beschädigung des Windrads und infolgedessen der Markise durch den Sturm nicht zweifelsfrei widerlegt werden konnte, so lag es doch nahe, dass der
Schaden an der Markise auf andere Ursachen zurückzuführen war. Die Behauptung der Wartungsfreiheit während der Lebensdauer der Markise seitens des Herstellers war gar nicht so falsch. Immerhin hat die Anlage über einen Zeitraum von 20 Jahren hinweg offensichtlich einwandfrei funktioniert, und das ganz ohne Wartung. Die zu erwartende Lebensdauer einer Gelenkarmmarkise liegt selbst unter optimalen Voraussetzungen wie bei einem Einsatz von Windwächtern und bei regelmäßiger Wartung nur bei zehn bis 15 Jahren. Der Sachverständige hatte die Richtlinie zur Ermittlung des Zeitwerts von Gelenkarmmarkisen im konkreten Fall herangezogen und konstatierte deshalb eine ganz passable Leistung.

So sind Sie auf der sicheren Seite

"Die intensive Nutzung der Wintergartenmarkisen geht fast immer mit einer Automatisierung einher. Solche Anlagen müssen oft 1.000 und mehr Bedienzyklen verkraften. Schon mit Blick auf den gesunden Menschenverstand sollten Kunden ihre Wintergartenmarkisen (wie auch andere Produkte des außen liegenden Sonnenschutzes) regelmäßig warten lassen", meint Friedrich Karl Rinn. Der frühere BVRS-Vizepräsident ist ö.b.u.v. Sachverständiger für das Rollladen- und Jalousiebauerhandwerk.