Schadensfall Sturmschaden oder Wartungsruine?

In manchen Fällen muss der Sachverständige Detektiv spielen, um die Ursache für den Schaden zu finden. Im konkreten Fall war zu klären, ob ein Orkan die Wintergartenmarkise beschädigt hatte oder ob andere Faktoren (mechanische Störung, Abnutzung) im Spiel waren.

Der Windwächter war so stark beschädigt, dass er seine Funktion nicht mehr erfüllte. - © Rinn

Der gerufene Sachverständige traf auf eine Wintergartenmarkise, die das exponierte Glasdach eines nach Westen ausgerichteten Wintergartens in einem deutschen Mittelgebirge schützte. Die zirka 770 Zentimeter breite und 210 Zentimeter lange Anlage hatte zwei Behang-Felder, die der Nutzer mit zwei separaten Motoren fuhr. Die zirka 20 Jahre alte Markisenanlage verfügte über ein sog. Gegenzugsystem mit Drahtseilen. Ein Windfühler an der südwestlichen Ecke des Wintergartens sollte die Markise bei starkem Wind einfahren.

SCHADENSBILD

Beide Anlagen waren zum Zeitpunkt der Ortsbesichtigung nicht funktionsfähig. Die rechte der beiden Anlagen gab ein Bild des Jammers ab: Die Drahtseile der Gegenzuganlage waren gerissen, der Markisenstoff hing teilweise in Fetzen und andere Teile, z.B. die Laufschlitten, waren stark beschädigt. Eine der beiden streitenden Parteien behauptete, ein Orkan habe zunächst die drei Schaufeln des Windfühlers abgerissen. Weil die Markise deshalb nicht mehr selbstständig einfuhr, habe der Sturm die gesamte Anlage zerstört.

SCHADENSANALYSE

Bei näheren Untersuchungen konnte der Experte diesen Schadenshergang zwar nicht zweifelsfrei ausschließen. Er fand jedoch eine Reihe von Indizien, die auf andere Ursachen hinwiesen. Die Kunststoff-Ummantelung der Drahtseile war an vielen Stellen beschädigt bzw. über weite Strecken abgeblättert, teilweise bedeckte Rost das Drahtseil. Hinweise auf irgendeine Wartung fand der Sachverständige nicht.
Die auf Sturmschaden plädierende Partei berief sich auf die Aussage des ursprünglichen Herstellers der Markise, der damals mit „Wartungsfreiheit“ über die Lebensdauer der Markise warb. Diese Seite ging also davon aus, dass eine regelmäßige Wartung nicht Voraussetzung für einen dauerhaft störungsfreien Betrieb der Markise sei. Vielmehr vermutete diese Partei sogar eine gezielte Verkürzung der Lebensdauer durch die Hersteller solcher Anlagen und zog einen Vergleich zum Glühbirnenkartell von 1924. Damals hatten die Hersteller von Glühbirnen deren Lebensdauer vorsätzlich auf 1.000 Stunden begrenzt.

HINTERGRUND

Wintergartenmarkisen mit Gegenzugsystemen sind technisch ziemlich anspruchsvolle Anlagen, bei denen die Konstruktion große Lasten abtragen muss. Zudem verrichten sie ihren Dienst in der Regel an sehr exponierten Stellen. Sie müssen extremer Sonnenbestrahlung und Hitze im Sommer ebenso widerstehen wie Kälte, Eis, Schnee und Nässe im Winter – und das über viele Jahre. Hinzu kommt, dass Wintergartenmarkisen über das gesamte Jahr und sogar bei Abwesenheit der Nutzer des Wintergartens arbeiten, um das Klima im Wintergarten und die Sonneneinstrahlung zu be einflussen.

LÖSUNG

Auch wenn sich eine Beschädigung des Windrads und in der Folge der Markise nicht zweifelsfrei widerlegen ließ, so lag es doch nahe, dass der Schaden an der Markise auf andere Ursachen zurückzuführen war. Mit der Behauptung der Wartungsfreiheit über die Lebensdauer der Markise lag der Hersteller gar nicht so falsch. Immerhin hatte die Anlage über einen Zeitraum von 20 Jahren offensichtlich einwandfrei funktioniert, und das ganz ohne Wartung. Die zu erwartende Lebensdauer einer Gelenkarmmarkise liegt selbst unter optimalen Voraussetzungen wie dem Einsatz von Windwächtern und bei regelmäßiger Wartung nur bei zehn bis 15 Jahren. Der Sachverständige hatte die Richtlinie zur Ermittlung des Zeitwerts von Gelenkarmmarkisen im konkreten Fall herbeigezogen und konstatierte deshalb eine ganz passable Leistung.