Im Notfall zählt jede Sekunde So lässt sich der Sonnenschutz bei Stromausfall komfortabel bedienen
Bei der Entwicklung von Notöffnungen im zweiten Rettungsweg spielen die Funktionssicherheit und der schnelle Öffnungsvorgang eine wichtige Rolle. Für die Anbringung solcher Bauteile existieren bisher keine einheitlichen Vorgaben – das soll sich dank einer neuen Richtlinie ändern.
Elektrisch betriebene Sonnenschutzsysteme erfreuen sich dank der bequemen Bedienung
großer Beliebtheit. Gleichzeitig schlagen immer mehr Architekten und Bauherren einen
zweiten Rettungsweg durch die Terrassen- oder Balkontür vor. Das Problem: Fällt z.B.
bei einem Brand der Strom aus, fährt der Rollladen nicht mehr automatisch hoch. Abhilfe
schaffen mechanische oder elektrisch betriebene Bauteile, welche den Fluchtweg im
Notfall auch ohne Strom freigeben.
Eine wichtige Anforderung an solche State of the Art-Systeme ist die Bedienung –
diese muss intuitiv, also für jedermann ohne großes Nachdenken, erfolgen. Immer stärker
in den Fokus rückt auch die Geschwindigkeit der Notöffnung, denn im Ernstfall zählt
jede Sekunde. „Die Nothandkurbel hat sich am Markt etabliert, bekommt aber vermehrt
Konkurrenz von Systemen mit schnellerem Öffnungsvorgang“, sagt Alexander Vogt, Leiter
Produkt- und Projektmanagement sowie Marketingleiter bei Selve. Darüber hinaus müssen
die Komponenten leicht erkennbar sein und zuverlässig funktionieren. Eine geeignete
Signalisierung unterstützt die Erkennbarkeit.
FACHGERECHTE INBETRIEBNAHME SICHERSTELLEN
„Für die Aktivierung ist bei den mechanischen Systemen eine gute Balance zwischen Schnelligkeit des Öffnens und dem dazu notwendigen Kraftaufwand ausschlaggebend“, sagt Dr. Matthias Henschel, Leiter Entwicklung bei Elero. Mehr Komfort für den Nutzer gewährleisteten elektrisch betriebene Komponenten mit energiegepuffertem Antrieb. Die identische Nutzung im Not- sowie im Normalfall garantiere die intuitive Bedienung. „Man drückt wie gewohnt auf den Schalter und der Behang öffnet sich.“ Zusätzlich lassen sich in die Notsysteme weitere Automatikfunktionen integrieren, wie das Reagieren auf ein Alarmsignal, z.B. von einem Rauchmelder. Damit die Bauteile in Gefahrensituationen zuverlässig funktionieren, müssen auch die Kompatibilität und die fachgerechte Inbetriebnahme gewährleistet sein. „Mit dem SecuKit für Rollläden und Fenstermarkisen sind die Nutzer bei einem Stromausfall auf der sicheren Seite“, verspricht Michael Väth, Produktmanagement Fenster und Fassade bei Warema. Der Sonnenschutz sei mit den Standard-Bedienvarianten Motor und Gurt kombiniert. Im Notfall lasse sich der heruntergefahrene Behang mit wenigen Handgriffen hochziehen. „Damit sind die Anforderungen der Landesbauordnungen (LBO) der jeweiligen Bundesländer erfüllt, die auch bei motorbetriebenem Sonnenschutz teilweise je Wohneinheit eine von der Stromversorgung unabhängige Bedienmöglichkeit fordern“, ergänzt er.
BAUTEIL IN DER PRAXIS FAST NIE IM EINSATZ
Bei der Produktentwicklung steht die absolute Zuverlässigkeit der Bauteile während
der gesamten Lebensdauer im Fokus. Zumeist wird das Bauteil für einen Fall entwickelt,
der, wenn überhaupt, nur ein- oder zweimal während der gesamten Nutzungsdauer eintritt.
„Bei einem mechanischen System ist die Herausforderung die sichere Funktion, obwohl
es vielleicht nie zum Einsatz kommt“, erklärt Matthias Henschel von Elero. „Vergleichbar
ist das mit der Aufgabe, einen Standplatten bei einem Auto zu vermeiden, das nie gefahren
wird und immer in der Garage steht.“ Die Frage laute folglich, wie man ein System
testet, welches sich in der Realität eigentlich nie bewegt.
Bei elektrischen Systemen sei hingegen der menschliche Faktor die Herausforderung:
Da der Stützakku eine begrenzte Lebensdauer habe, sei es obligatorisch, die Batterie
regelmäßig zu warten und zu tauschen. Insofern müsse der Benutzer dazu angehalten
werden, die Wartungsintervalle einzuhalten. „In der Entwicklung sagen wir scherzhaft,
dass das System dem Benutzer so auf die Nerven gehen muss, bis er freiwillig eine
Wartung durchführt“, hebt er hervor. Und diese sollte dann so einfach und sicher wie
möglich ausführbar sein. Ähnliches bestätigt der Produktmanager von Warema: „Das Produkt
kann jahrelang nicht in Nutzung sein, muss jedoch im Notfall sicher funktionieren“,
sagt Väth. „Deshalb ist die Wartung essenziell.“ Zudem sollten die Hersteller von
der Planung, Montage und Inbetriebnahme bis zur Wartung alles im Blick haben, insbesondere
auch die Schnittstellen und Fachkenntnisse bei der Inbetriebnahme vor Ort.
UNIVERSELLE VERWENDBARKEIT ALS HERAUSFORDERUNG
Auch bei Selve ist die Funktionssicherheit das A und O. „Diese prüfen wir ausgiebig“,
versichert Vogt. Darüber hinaus sei die universelle Verwendbarkeit in den unterschiedlichen
Systemen, Kastentypen und Kopfstücken eine wichtige Aufgabe bei der Entwicklung, um
Fachbetrieben die einfache Montage zu ermöglichen. Bei dem vor zwei Jahren eingeführten
Motor SP Rescue, der Notöffnung des Rollladens durch eine verbaute Federwelle, sei
die Funktionsweise genial, aber aufgrund der umständlichen Montage setzte sich die
Lösung nicht durch.
In diesem Jahr hat das Lüdenscheider Unternehmen den optimierten Motor SEE-NHK mit
einer schnelleren Übersetzung der Nothandkurbel von 13 : 1 auf den Markt gebracht.
Zudem nähert sich Man Rescue der Marktreife. Die Lösung wird anstelle eines Motorlagers
im Kopfstück montiert, die Notöffnung des Rollladens erfolgt per Gurt. „Bei dieser
Neuentwicklung sind wir große Schritte vorangekommen. Im Oktober haben wir einen groß
angelegten Feldtest gestartet“, hebt Vogt hervor. Dafür habe das Unternehmen sechs
Fachkunden 100 Muster zur Verfügung gestellt. Wichtige Erkenntnisse erhofft sich Selve
vor allem in Bezug auf den Montagevorgang sowie notwendige Ablagerungen.
Der Erfinder von Man Rescue ist Tobias Piening, Geschäftsführer von Rolladen Piening
in Ahlen. „Der zweite Rettungsweg gewinnt enorm an Bedeutung in der Branche“, stellt
er fest. Die am Markt verfügbaren Komponenten erschienen ihm verbesserungswürdig,
deshalb machte er sich nach Feierabend ans Werk, tüftelte an der Technik und investierte
in einen 3D-Drucker. „Bei den mechanischen Systemen kann es vorkommen, dass die Handkurbel
im Notfall nicht in greifbarer Nähe ist oder der Nutzer den Mechanismus durch falsche
Betätigung blockiert“, bemängelt er. „Die Lösung mit integriertem Akku wiederum ist
sehr wartungsintensiv – dieser muss etwa alle zwei Jahre gewechselt werden.“ Mit Man
Rescue habe er in Kooperation mit der Firma Selve ein Bauteil entwickelt, das dank
des Sicherheitsgurts in weniger als zwei Sekunden den Rettungsweg freimache und die
falsche Nutzung ausschließe. Zirka drei Jahre habe er für die Entwicklung benötigt.
„Mein gesamtes Herzblut ist in das Projekt eingeflossen“, beschreibt Piening und blickt
mit Optimismus auf den Marktstart des Produkts.
SMARTE UHR JETZT MIT TÜV-ZERTIFIKAT
Eine Neuheit von Elero ist das ExitSafe-Modul, das zusammen mit einem Zwölf-Volt-Antrieb
bei Stromausfall das Öffnen und Schließen von Jalousien, Rollläden oder Screens ermöglicht.
Die Funktion gewährleistet ein an das Modul angeschlossener Akku, der sich bei Netzspannung
lädt. „Mit dem System lassen sich Bedienelemente wie Zentralsteuerung oder Taster
sowie ein Rauchmelder koppeln“, sagt der Entwicklungsleiter. Um den Sonnenschutz per
Funk zu steuern, sei der Anschluss von Vario-Tec 868 DC an das Modul möglich. Eine
weitere Option für die Freigabe des zweiten Rettungswegs sei der mit einer Nothandkurbel
ausgestattete Antrieb RolTop D+ NHK.
Ein Produktupdate: Die eUhr Smart Safe von Wir Elektronik ist jetzt mit TÜV-geprüfter
Technik erhältlich. Im Alltag ist die Uhr eine normale Rollladensteuerung, die in
eine tiefe Unterputzdose montiert und ans Stromnetz angeschlossen wird. Für den Notfall
verfügt sie über eine integrierte Akku-Pufferung. Bei Stromausfall öffnet und schließt
der Antrieb bis zu 20 Mal und sichert so den zweiten Rettungsweg ab. Dank der Funktechnik
lässt sich die Uhr ins SmartHome einbinden. Eine weitere Besonderheit ist der eingebaute
akustische Sensor, der Gefahrensituationen erfasst. „Meldet ein im Raum angebrachter
Rauchmelder Gefahr, zieht die Uhr den Rollladen automatisch hoch“, beschreibt Wilhelm
Rademacher, Inhaber von Wir Elektronik. Mit der programmierbaren Zeitschaltuhr lasse
sich die Uhr über Funk auch mit einem an der Fensterscheibe angebrachten Sonnen- und
Dämmerungssensor oder einem Handsender steuern.
EINHEITLICHE RICHTLINIE ZUR ANBRINGUNG KOMMT
Was die Anbringung von Sonnenschutzsystemen in Rettungswegen angeht, existieren bisher noch keine eindeutigen Vorgaben. „Die Musterbauordnung (MBO) sagt hierzu nichts aus und auch in den Landesbauordnungen (LBO) gibt es keine einheitlichen Regelungen“, sagt Ingo Plück, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Rollladen + Sonnenschutz (BVRS). Vor diesem Hintergrund soll eine deutschlandweite Richtlinie auf den Weg gebracht werden, die Planern, Ausführenden und Betreibern sowie dem Fachhandwerk eine Orientierungshilfe an die Hand gibt. Diese erstellt laut Plück ein Arbeitskreis des Industrieverbands Technische Textilien – Rollladen – Sonnenschutz (ITRS), in welchem auch der BVRS vertreten ist. „Derzeit gibt es eine Vorabversion, zu der noch die Fachexpertise von Dritten bzw. Sachverständigen eingeholt werden muss“, sagt der Rechtsanwalt. Kirsten Friedrichs