59. Haupttagung in Garmisch 600 Teilnehmer in Oberbayern feiern ihr meisterliches Gewerk

Fast doppelt so viele Teilnehmer wie vergangenes Jahr sind im Oktober zur 59. Haupttagung des BVRS nach Garmisch-Partenkirchen gekommen. Endlich konnte man mal sagen: Es gab viel Rücken wind aus Berlin.

600 Teilnehmer in Oberbayern feiern ihr meisterliches Gewerk - © Kober

Denn das Rollladen- und Sonnenschutz-Mechatronikergewerk ist einer von zwölf Handwerksberufen, dem nach der Abstufung aus der Anlage A der Handwerksordnung als Teil Schröderscher Agendapolitik 2004 der Wiederaufstieg in die Meisterpflicht geglückt ist. Dass dazu Präsident Heinrich Abletshauser und Jurist Ingo Plück maßgeblich durch ihre sorgfältig an der Geschäftsstelle koordinierten Stellungnahmen beigetragen haben, steht nicht nur außer Frage; es ist umso bemerkenswerter, als Letzterer erst zu Beginn des Jahres auf die Stelle des Politologen Christoph Silber-Bonz als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Rollladen + Sonnenschutz nachrückte. Im ersten großen sicht+sonnenschutz-Interview gibt der Rechtsanwalt Einblick in eine aufregende Zeit und lobt zugleich Dietrich Asche, seinen Nachfolger als Verbandsjustitiar; dass der Plück wegen der zeitgleich stattfindenden Industriebeiratssitzung nicht beim ZDH vertreten durfte, obschon er mit den Argumenten der Meisterpflicht-Befürworter bestens vertraut war und der HGF gerne seine Fördermitglieder begrüßt hätte, vermittelt einen Eindruck von der Verquastheit vieler Prozesse in der Hauptstadt, bei denen der Formalismus noch immer großgeschrieben zu sein scheint.
Dennoch, es ist (fast) geschafft, wie bei den steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für die energetische Gebäudesanierung muss nur noch die Länderkammer zustimmen, wo freilich andere Mehrheitsverhältnisse herrschen. Übrigens, das spricht Heinrich Abletshauser offen an, parlamentarische Abende und der Meinungsaustausch seien alleine bei der Grünen-Fraktion der im Bundestag vertretenen (demokratischen) Parteien nicht gewünscht; auch das bemerkenswert bei einem Gewerk, das von Vorzügen für altersgerechtes Wohnen (Komfortsteuerung) über die in der Schlitzberger-Studie der IVRSA ausgebreiteten Effekte auf dringend benötigte Energieeinsparung im Gebäude bis hin zum Architektenliebling Tageslicht so ziemlich alle relevanten Aspekte moderner Gebäudetechnik in sich vereint. Und vielleicht auch deshalb wieder mehr Auszubildende – gestiegen von 517 (2017) auf 538 im vergangenen Jahr – anzieht sowie Zuwächse bei Ausbildungsbetrieben (der BVRS-Ausbildungspreis, für den auch sicht+sonnenschutz in der Jury ist, geht an Rainer Kern) und Neuverträgen ausweist. Das sollte nun nicht dazu führen, alles in Rosarot zu malen. „Wir haben einen Lehrling gehabt, der das Geld, das ich ihm für die Fahrkarten zur Schule nach Ehingen gegeben habe, eingesteckt und dann blaugemacht hat“, schildert Betriebsinhaber Berthold Graf von der Flach GmbH in Wolpertswende. Als der Berufsschullehrer die Abwesenheit durchgab, zog Graf Konsequenzen – und schritt zur Tat: „Reinlegen lasse ich mich nicht. Als ich wegen eines Aufhebungsvertrags bei der Handwerkskammer anrief, wurde mir gesagt, diese würden permanent angefordert.“

COACHING FÜR DIE NACHWUCHSGEWINNUNG

Dagegen hat der Betrieb mit mehreren geflüchteten Syrern gute Erfahrungen gemacht: „Einer ist dabei, dem habe ich schon einmal deutlich gemacht, dass das bei uns ein wenig anders läuft. Aber im Großen und Ganzen bin ich sehr zufrieden“, sagt der Inhaber, der als Quereinsteiger in die R+S-Szene kam, nachdem er vorher als Maschinenbauer in der Industrie geschafft hatte. Das Gute: In Philip Flach steht die nächste Generation an der Spitze des 15-Mann-Betriebs in der Nähe von Ravensburg bereits in den Startlöchern, der Junior studiert Bauprojektmanagement und wird eines Tages beim Warema-Kompetenzpartner übernehmen. Klaus-Dieter Scholz von Blau und Scholz Consulting in Lünen fühlt sich angesprochen, als Innungsobermeister Meinhard Berger – mit Peter Huber der Gastgeber und Location Scout für die erfolgreiche Tagung unter weiß-blauem Himmel – „auch an die Coaches“ appelliert, dabei zu helfen, die vielen attraktiven Seiten des Berufs bei den Mitarbeiter- bzw. Auszubildenden-Zielgruppen zu vermarkten bzw. bekannter zu machen.

FACHBETRIEBE ALS AUSBILDER IN DER PFLICHT

Einst selbst beim Aufbau der R+S-Jungunternehmer involviert, sagt der mit der Branche bestens vertraute Trainer: „Oft sehe ich, dass Azubis mit älteren Monteuren losgeschickt werden, die selbstredend über keine, wie immer geartete, pädagogische Qualifikation im Sinn eines schrittweisen Heranführens an die Aufgaben verfügen. Dieses Thema muss beim Chef angesiedelt sein.“ Wenn es funktioniert, entwickelt sich schnell eine Eigendynamik, wie Berthold Graf berichtet: „Als wir den Ersten aus Syrien aufgenommen hatten, kam er zu mir und sagte, diese Arbeit sei vielleicht auch etwas für einen Freund von ihm.“
Verbandschef Heinrich Abletshauser bringt das auf den einfachen Nenner, es sei eine Selbstverständlichkeit für Fachbetriebe, selbst auszubilden – wer seinen Betrieb besucht, erlebt, dass das keine leeren Worte sind. Übrigens besitzt auch das Relevanz in Sachen einer dauerhaften Meisterpflicht. Wie schon am Morgen Plück im Exklusivinterview weist auch der Sachverständige und R+S-Meister in seiner Grundsatzrede auf die nach fünf Jahren zu erfolgende Evaluierung der nun wieder in die Rolle A aufgestiegenen Gewerke hin: „Ausbildungszahlen sind eines der Kriterien, die dann der Überprüfung standhalten müssen, wenn wir die Meisterpflicht behalten wollen.“ Schließlich war genau dies eines der wichtigsten Argumente der Befürworter, dass nur in ausreichender Zahl vorhandene Rollladen- und Sonnenschutzmechatroniker-Meister durch fachlich kompetente Ausbildung in der Zukunft die Qualität in einem Gewerk sichern, dem nun die 2004 noch abgesprochene sog. Gefahrengeneigtheit attestiert wurde. (Wer diese bezweifelt, dem sei eine Markisenmontage als Anschauungsunterricht empfohlen.) Aber: Es ist explizit nicht gewünscht, sich auf einer Meisterprüfung von anno dunnemals auszuruhen. Zwar bekannte auf der PK an der Olympiaschanze Meinhard Berger, es sei bei der manchmal die Grenzen der Belastbarkeit überschreitenden Aus- und dadurch Belastung für die Betriebe „oft ein Spagat“, ausreichend Fortbildungsangebote bereitzustellen bzw. diese auch als Verantwortlicher wahrzunehmen; andererseits sind die Themen mit SmartHome & Co. so anspruchsvoll wie vielfältig, dass eine qualifizierte Beratung und rechtssichere Abwicklung von Aufträgen an die Voraussetzung geknüpft sind, stets up to date zu sein. Da kommt es beinahe schon einer willkommenen Abkühlung gleich, dass der Spitzenwert der Branchenkonjunktur von 150 Punkten während des ersten Halbjahrs – die Auslastung betrug sagenhafte, wenn auch nicht immer gesunde 100 Prozent – in der zweiten Jahreshälfte nicht bestätigt wurde; zu Jahresende erwartet immerhin ein Viertel der befragten Handwerksunternehmen eine Verschlechterung. Der durchschnittliche R+S-Betrieb setzte 2018 per annum 734.256 Euro um; während der Anteil des Rollladens von 25 erstmals auf 20 Prozent zurückging, erfreuen sich die Markise (20,4 auf 21,8 Prozent), das Terrassendach (von vier auf 7,1 Prozent) und die Innenbeschattung (von 4,7 auf 6,7 Prozent) wachsender Beliebtheit.

WERTHALTIGE SEGMENTE UND DEKO IM KOMMEN

Ohne überzuinterpretieren, bedeutet das zweifelsohne, dass werthaltige Segmente und auch das Thema Dekoration Steigerungen verzeichnen: In Summe kletterte der Umsatz der Handwerksbranche von 2,05 auf 2,13 Milliarden Euro. Um eine klare politische Positionierung ist der Verband in der Präsidentschaft Abletshauser nicht verlegen: So heißt es, statt mit der CO2-Steuer, einem Lieblingsprojekt von SPD-Umweltministerin Svenja Schulze, die Bürger in Milliardenhöhe und zulasten sinnhafter Investitionen zur Kasse zu bitten, möge doch dem Umstand Rechnung getragen werden, den die Schlitzberger-Studie der IVRSA so eindrucksvoll herausarbeitete. Danach sparte eine flächendeckende Ausstattung deutscher Haushalte mit intelligent gesteuertem Sonnenschutz die eindrucksvolle Menge von 6,1 Millionen Tonnen Kohlendioxids ein. Natürlich, konstatiert der Unternehmer, spreche die vom Kulturausschuss des Bundesrats vorgeschlagene Bezeichnung Junior Professional für Absolventen der Meisterausbildung dem Bestreben um die dringend benötigte Vergleichbarkeit von beruflicher und schulischer Bildung Hohn. Auch bürokratische Stilblüten wie die Verordnung zur Mindestausbildungsvergütung kritisiert der Freiburger: Tatsache ist, dass Handwerksbetriebe mit Weitsicht für motivierte Lehrlinge die Grenzen nach unten, was das betrifft, nicht ausloten sollten – dafür muss es möglich sein, sich von leistungsunwilligen Albtraumazubis schnell zu trennen.
Noch eine persönliche Bemerkung zum Schluss: Sowohl für die bayerische Folklore am ersten Abend als auch für die wirklich ausufernde Präsentation der ehrgeizigen Innung Köln zur 60. Haupttagung des BVRS vom 23. bis zum 25. Ok tober 2019 in Bonn hätte Geltung gehabt, was meistens der Fall ist: Weniger wäre mehr gewesen. Ansonsten wird die Garmischer Tagung sicher als eine der stimmigsten in die Verbandsgeschichte eingehen. Reinhold Kober