Demontage und Neuschöpfung Demontage und Neuschöpfung

„Wir mussten das Lebenswerk unseres Vaters aufgeben, um es zu bewahren“, sagt Wilhelm Hachtel, dessen operative Verantwortlichkeit bei MHZ vor zwei Jahren endete: ein Gespräch mit einem vorherbestimmten Unternehmer und leidenschaftlichen Unternehmer-Coach.

Inspiration Natur: Wilhelm Hachtel (60) auf der Terrasse seines Musberger Anwesens im Licht der Morgensonne. - © Kober

Die Szenerie erinnert an einen französischen Film; der sicht+sonnenschutz-Reporter, der mannsbreit den Eingang zwischen einer langen Reihe Garagen verpasst und telefonisch Orientierung erhält, steigt die Stufen eines Hauses empor, das von der Straße überhaupt nicht zu sehen ist. Erst am Rückweg erkennt er, dass zu den von außen sichtbaren Liegen eine gepflegte Gartenanlage gehört. Wilhelm Hachtel, der am 23. Juli 2017 seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, öffnet nicht ganz freiwillig sitzend. Er ist braun gebrannt und trägt ein modisches weißes Hemd und Bluejeans.

Eigentlich war angedacht, in der Motorradkombi aufeinanderzutreffen. Zwei Wochen vor dem geplanten Termin – aus Anlass des Geburtstags, im Bestreben, über Gott und die Welt zu reden – verunfallte Mister MHZ über den Lenker seines E-Bikes auf einer norditalienischen Passstraße infolge unerwartet hoher Verzögerungsleistung des teilmotorisierten Zweirads; statt Kurvensurfen auf der Alb steht nun ein Livebericht von Wilhelm Hachtel, dem Coach für Selbstmanagement in Leinfelden-Echterdingen, OT Musberg, auf der Agenda.

WILHELM HACHTEL ÜBER … – ANLAGEN UND VORGABEN

Im Nachgang zum Termin hallen die Worte nach: „Ich war von Beginn an ausersehen, die Nachfolge meines Vaters im Unternehmen anzutreten. Doch meine Werte - verlässliche Hilfsbereitschaft, Nachhaltigkeit, echtes Interesse an Menschen – haben mir stets vorgegeben, nach Ende dieses Abschnitts einen eigenen Weg zu beschreiten.“ Sie hallen nach, weil vor dem geistigen Auge am Rückweg vom Termin zwangsläufig das Backsteingebäude „der Firma“ vorüberzieht, das nur einen Steinwurf vom Anwesen der Familie entfernt liegt. Die Ökovilla, die vier Wohnungen beinhaltet, ist ein Niedrigenergiehaus mit offener Südfassade: Die Anlage nutzt Solarthermie zur Warmwasseraufbereitung und verfügt über eine eigene Energieerzeugung mittels PV mit Speicherkapazitäten sowie gesteuertem Luftaustausch; Wilhelm Hachtel sieht in seiner Heimat eine Brücke zwischen der Überzeugung, dass Industrie und Handwerk einen ökologischen Beitrag leisten, und der daraus abgeleiteten Tätigkeit für die Verbände.

Die auferlegte Karriere als Unternehmer hat bedingt, dass in der Nachfolge des Vaters – in der die Entscheidung über 20, infolge einer Marktverschiebung obsolet gewordene, Fertigungsstandorte anstehen sollte – anstelle der anderenfalls womöglich vollkommen normalen 70-Kilometer-Anfahrt zur täglichen Arbeitsstelle für den studierten BWLer ein Vier-Minuten-Spaziergang genügte. Dazu von den Räumen des Anwesens der Blick ins Grüne, Unendliche eines Meers aus Wald und Weite: Mag also schon sein, dass dieses Setting, in das Wilhelm Hachtel hineingeboren ist, maßgeblich und paradoxerweise in ihm die Erkenntnis seines persönlichen Strebens nach Werten abseits von Euro sowie Cent bzw. Mark und Pfennig weckte. Demnach hätte er, indem er das Vorgegebene annahm, zu dem gefunden, was in ihm angelegt war und ist.

BETTER DONE THAN PERFECT

Als Unternehmer-Coach analysiert das der 60-Jährige mit den Worten: „Wer das Not-Wendige aus Gewohnheit tut, ist wirklich frei.“ Mit seinen derzeit 25 Klienten, die pro Stunde Selbstmanagement-Coaching 120 Euro bezahlen und nicht mal zu einem Viertel etwas mit der Sonnenschutzbranche am Hut haben, löst er Blockaden, die Entscheidungen verhindern – „Better done than perfect“, sagt der Amerikaner – und erklärt ihnen den Gini-Koeffizienten; abgeleitet von Pareto besagt die Kurve, dass zehn Prozent der Verbesserungspotenziale in Unternehmen und ihren Prozessen identifizierbar sind, mit denen bei konsequenter Umsetzung der größtmögliche Erfolg realisierbar wird – und dann wieder zehn, wieder zehn, wieder zehn Prozent. Im Grunde geht es um einen ressourceneffizienten Mitteleinsatz. Und darum, wie die Kunden, die der
60-Jährige wahlweise auch „Mandanten“ nennt, die Folgen – natürlich im Sinne von „Er-folg“ – spüren; das heißt bei Wilhelm Hachtel „Selbstwirksamkeitserfahrung“. Leute, die im Unternehmeralltag mit bis zu 60, 70 Mitarbeitern manchmal vor einer Wand von Problemen stehen und sich hilflos fühlen, realisieren plötzlich, dass sie sehr wohl eine
Handhabe dagegen haben. „Es tut mir gut“, sagt er dem Reporter offen, bekomme er für seine Coachingtätigkeit als Feedback gespiegelt. Die Ursache, auch hier, hat stets etwas mit Erkenntnis zu tun, deshalb räumt der langjährige Firmenchef („Die Typologie des Unternehmers trage ich nicht in mir“) mit den Menschen, die zu ihm kommen, im ersten Teil des Seminars „Konsistente Mitarbeiterführung“ erst mal den eigenen Schreibtisch auf. Wie überhaupt vieles dann doch wieder nicht neu ist, ohne an Geltung verloren zu haben: Ordnung, Disziplin, vor allem aber Vorbildfunktion – „da tauchen auf den Tischen dann drei Monate alte Eingaben von Monteuren auf, die wegen einer Anhebung des Salärs fragten.“

VOM FOKUS BEFREIT

Zur Wirksamkeitserfahrung in eigener Sache sagt der 60-Jährige, die Arbeit für die Sonnenschutz-Verbände auf europäischer Ebene, koordiniert bei ES-SO vom Vorsitzendem Peter Winter und Geschäftsführerin Ann van Eyken, habe einen großen Schritt gezeitigt. Es geht um die Überarbeitung, neudeutsch: Review, der EPBD – Energy Performance of Building Directive, besser bekannt als Gebäuderichtlinie in Sachen Energieeffizienz; ein vorübergehender Dissens mit der Glasindustrie, die für sich die Assets Wärme- und Sonnenschutz beansprucht habe, sei beigelegt: „Wir sind schaltbar“, beschreibt der Interessenvertreter der Branche und irgendwie auch geistige Vater ihres heute vielleicht wichtigsten Pfunds den Umstand, dass sich mit den Produkten und Dienstleistungen von R+S – und deren je nach Raum- und Außenklima modularisierbarer Anwendung – der Heizbedarf in Deutschland um zirka 15 Prozent senken lässt. Eine aktuell laufende Studie der IVRSA, die zur R+T präsentiert wird, soll die Werte konkretisieren.

Dies sei in den Vorlagen für die Neufassung der Richtlinie, allerlei Green und White Papers, als Ausgangspunkt angelegt; in der nationalen Umsetzung, bisher durch EnEVFassungen, obliege es der Politik im Fall der Übernahme in die überarbeitete EPBD, diesem Umstand infolge von Anreizen für entsprechende Investitionen oder gar mit ordnungspolitischen Instrumentarien Rechnung zu tragen. Nach dem Motto: Wer das Not-Wendige aus Gewohnheit tut, ist wirklich frei. In diesem Sinn hatte sich Hachtel als Firmenchef einst vom Fokus Vorhangschiene befreit; aus heutiger Sicht ein Beispiel dafür, wie Ordnung und Aufräumen zu Erkenntnis führten und der Mut zur konsequenten Umsetzung der einmal gefällten Entscheidung eine in die Zukunft gerichtete Aufstellung des Unternehmens ermöglichte. Der Mann weiß, wovon er redet.
Reinhold Kober